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Bis zum 2.10. fand in Darmstadt der 9. Bundeskongress der Sozialen Arbeit statt. Er trug den Titel „Politik der Verhältnisse – Politik des Verhaltens: Widersprüche der Gestaltung Sozialer Arbeit“. Lesen Sie hier zunächst allgemeine Informationen zum Bundeskongress und eine Zusammenfassung der Auftaktveranstaltung vom 30.9.2015.

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In den folgenden Wochen werden wir weitere Beiträge verschiedener Fachleute und ProfessorInnen aus Sozialer Arbeit und Geragogik präsentieren. Die Beiträge bauen aufeinander auf. In diesem ersten Teil können Sie einen Überblick über die Thematik gewinnen. Im zweiten Teil präsentieren wir Ihnen demnächst Impulsvorträge, welche den Widerspruch „Politik der Verhältnisse – Politik des Verhaltens“ vertiefen. Sie können unsere Zusammenfassungen dieser Vorträge nachlesen und sie auch im Originalton nachhören. Im dritten Teil wird dieser Widerspruch in seniorenpolitischen Themen beleuchtet.

Einen Überblick über die Veranstaltungen bietet zunächst das Hauptprogramm des Kongresses. Sie können sich auch unsere bisher veröffentlichten Artikel zum Bundeskongress anschauen.


Eine inhaltliche Einführung liefert Prof. Dr. Johannes Stehr, Mitorganisator des Kongresses:

Grundannahme vieler Veranstaltungen ist, dass eine Politik der Verhältnisse von einer Politik des Verhaltens verdrängt wurde. Es werden also personalisierte Konzepte von Verhaltenssteuerung in den Vordergrund gedrängt, die tatsächlich schlechten Rahmenbedingungen finden in politischen Diskussionen kaum Beachtung.

Anschaulich ist dies zur Zeit am Beispiel von Geflüchteten. Nicht Ungleichheit und Herrschaft werden thematisiert, sondern es wird ausgegrenzt, es wird sogar in "gute" und "schlechte Flüchtlinge" unterschieden. Sogenannte schlechte Flüchtlinge werden als "Wirtschaftsflüchtlinge" definiert und damit ausgeschlossen.

Auf dem Bundeskongress werden z.B. zentrale Konzepte neoliberaler Politik hinterfragt, auch Bildungs-, Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen in der Sozialen Arbeit werden beleuchtet. Dazu sind die Veranstaltungen in vier Panels unterteilt.


Der Präsident der Hochschule Darmstadt, Prof. Dr. Ralph Stengler, wies in seiner Rede vor allem auf die verstärkten gesellschaftlichen Gegensätze in der Verteilung von Armut und Reichtum hin. Sozial ArbeiterInnen erfahren die gesellschaftliche Auswirkungen dieser Gegensätze direkt und unmittelbar, wie z.B. Arbeitslosigkeit, Armut, Ausgrenzung und Krankheit. Soziale Arbeit ist eine reflektierende Disziplin. Durch sie kann festgestellt werden, dass aus strukturellen Problemen individuelle Probleme gemacht werden. Der Fachbereich Soziale Arbeit der Hochschule Darmstadt hat Forschungsstärke und einen hohen Reflexionsgrad. Auch die übrigen MitarbeiterInnen und Studierenden der Hochschule profitieren vom Know-How des Fachbereiches.


Die Präsidentin der Evangelischen Hochschule Darmstadt, Prof. Dr. Marion Großklaus-Seidel, stellte fest, dass sich die Anzahl von älteren Menschen in der Gesellschaft weiter erhöhen wird, eine menschenwürdige Versorgung muss also gewährleistet werden. Aber nicht nur Ältere, auch viele andere Menschen sind von Ausgrenzung bedroht. Es ist daher Teilhabe und eine Kultur des Sozialen notwendig.


Jochen Partsch (Bündnis 90 / Grüne, Oberbürgermeister der Stadt Darmstadt) weist auf eine notwendige Stärkung der Lebensverhältnisse in den Quartieren und die wichtige Rolle der Wissenschaft und Praxis der Sozialen Arbeit dabei hin. Ausgrenzungsprozessen muss widerstanden werden.

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Laut Prof. Dr. Karl-Heinz Braun ist jeder Mensch potentieller Zeitzeuge, Weltzeit und erlebte Zeit gehen ineinander über. Auf dem Bundeskongress Soziale Arbeit beschreibt er diese Sichtweise am Beispiel des 17. Juni 1953 in Magdeburg.

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Karl-Heinz Braun stellte den Ansatz im Rahmen des Workshops "Bildung und Lernen im Alter" vor. Die Ausführungen knüpfen an den Gedanken an, dass Bildung im Alter vor allem biografisch orientiert ist. 

Um Menschen als Zeitzeugen verstehen zu können, sind der geschichtliche Rahmen, sozusagen die Weltzeit, von Bedeutung: 1953 verdichtete sich in der DDR, und damit auch in Magdeburg, eine Versorgungskrise. Im März 1953 starb Stalin, Reformkräfte sahen mögliche andere Wege im Sozialismus. Ein Politbürobeschluss führte zu Demonstrationen in verschiedenen Städten der DDR. Nach den Demonstrationen und ihrer Niederschlagung kommt es zu einer Umorientierung der Beschlüsse, Gründung des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS, auch Stasi genannt) und der Betriebskampfgruppen. Von den Demonstrationen gibt in Magdeburg ist bisher kein Bildmaterial bekannt, die Rolle der ZeitzeugInnen wird also prägender. Auch ist es lohnenswert zu beachten, welche der geschichtlichen Ereignisse und wie diese Ereignisse in den Erzählungen der ZeitzeugInnen vorkommen.

Mit älteren Menschen wurden biografische Interviews durchgeführt. Anhand des Beispieles der Ereignisse des 17. Juni in Magdeburg machte Herr Braun einige grundsätzliche Probleme beim Umgang mit ZeitzeugInnen deutlich. Die Interviews wurden keiner Wertung unterzogen, es geht um die Selbstbildung der Betrachtenden. Zu dem Projekt gehörten auch Fotomontagen, welche das erlebte Spannungsfeld darstellen sollen. Karl-Heinz Braun zeigt Ausschnitte aus diesen Interviews, es werden verschiedene Aspekte deutlich:

Erstens die existenzielle Dimension der Ereignisse, vor allem das Durchfahren der Panzer führte zur Existenzangst einer Zeitzeugin gegenüber Panzern. Die Nähe zur sowjetischen Armee bleibt als Bedrohungsgefühl, obwohl positive Erfahrungen, die Befreiung von den Nazis, mit sowjetischen Armeeangehörigen gemacht wurden. In den Erzählungen stecken historische Interpretationen, so wird z.B. die Anwesenheit der sowjetischen Armee als größte Bedrohung beschrieben.

Zweitens tauchen in einem weiteren Interview Erinnerungen zwischen den Erzählungen auf, es ist wichtig diesen Spuren zu folgen. Die Überschneidung von Weltzeit und Lebenszeit werden deutlich, es werden also auch geschichtliche Aspekte mit persönlicher Erfahrung gemischt. Erfahrungen, das Verschwinden von KollegInnen, wird mit einer vermuteten Anschwärzung in Verbindung gebracht.

Drittens wird in einem Interview der Entwurf der Biografie deutlich, denn die Krisen in der DDR kommen in dieser Biografie nicht vor. Auch die Geschehnisse des 17. Juni bekam die erzählende Person nicht mit, Einflüsse von außen wurden stattdessen betont. Der Staat wird in dem persönlichen Entwurf nicht als Gesellschaft mit Problemen, sondern als Opfer konstruiert.

Die Interviewauszüge und Fotomontagen wurden uns von Prof. Dr. Braun zur Verfügung gestellt.

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Prof. Dr. Bitzan von der Hochschule Esslingen steuerte den zweiten Impulsvortrag zu dem diesjährigen Bundeskongress Soziale Arbeit bei. Sie gab dem Vortrag den Titel "Das Soziale von den Lebenswelten her denken - Zur Produktivität der Konfliktorientierung für die Soziale Arbeit." Wir bieten Ihnen wieder Zusammenfassung sowie Audiomitschnitt des Vortrages.

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Bisher sind in unserer Reihe zum 9. Bundeskongress der Sozialen Arbeit erschienen:

Eröffnungsveranstaltung sowie allgemeine Informationen zum Bundeskongress

Impulsvortrag Stephan Lessenich: Doch die Verhältnisse, sie sind nicht so

Hier nun der Vortrag von Prof. Dr. Bitzan:

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In der Mikroebene, im Bezug auf Lebenswelten und AdressatInnen, wird das Politische erkennbar. Konflikte zwischen allen AkteurInnen sind möglich, sie sind jedoch negativ besetzt. Aber alle Konflikte enthalten immer strukturelle Widersprüche. Nicht alle strukturellen Widersprüche sind Konflikte, sondern werden als Unbehagen oder Unstimmigkeit wahrgenommen. Diese wahrzunehmen heißt auch, gegen Bewegungen vorzugehen, die attraktive Glättungen vornehmen wollen. Der Vortrag ist in fünf Themenbereiche gegliedert.

1. wird auf die Konfliktperspektive eingegangen. Diese ist oft eng gefasst, in der Interaktion sieht mindestens eine AkteurIn eine Unvereinbarkeit. Hier ist aber auch eine gesellschaftliche, weite Fassung möglich. Es können z.B. gegensätzliche Interessen und nicht erfüllte Versprechungen thematisiert werden. Es gibt kollektivierbare Konflikte, die auf gesellschaftliche Strukturen hinweisen. Konflikte konstituieren also auch die Gesellschaft. Soziale Arbeit kann dabei eine produktive Haltung einnehmen: Konfliktinterpretationen machen bewusst, wie Gesellschaftsordnungen hergestellt und Veränderungen bewirkt werden. Dies deckt Widersprüche auf, welche in gesellschaftliche Diskussionen eingebracht werden können.

2. wird der Soziale Konflikt thematisiert: Gesellschaft ist eine Arena von Konflikten. Soziale Konflikte bestehen im ständigen Kampf um Anerkennung. Dies geschieht in drei Sphären, als Kampf zwischen Liebe und Körpergewalt; Recht und Entrechtung; Wertschätzung und Entwürdigung. In diesen Sphären erlebte Verletzungen führen zu negativen Gefühlen. Sind die Gefühle mit Erfahrungen von Kollektivität verbunden, kann Unrecht empfunden werden und Protest ausgelöst werden. Soziale Arbeit kann hier eine Rolle spielen. Soziale Konflikte verweisen auf Widersprüche, die normalerweise individualisiert wahrgenommen werden und in der konkreten Lebenswelt auftauchen.

3. thematisiert Prof. Dr. Bitzan das Soziale als Diskurse in Verhältnissen. Ambivalenz in der Lebenswelt kann als Dialektik von Verfügbarkeit und Gelingen wahrgenommen werden. Charakteristisch im Alttag ist die Erlebbarkeit der Widersprüche. Sozialstaatliche Rahmungen regulieren, wie Menschen leben sollen, wenn sie akzeptiert werden wollen. Bei Anerkennungskämpfen geht es darum, welche Bedürfnisse akzeptiert werden und wie diese befriedigt werden dürfen. Diese Entwicklung ist dynamisch. Soziales ist also nicht statisch. Es manifestiert sich in Konflikten und Bewältigungen, egal ob sozial anerkannt oder abgelehnt. Es legt eine Spur des Unbehagens, wie z.B. in Armut oder dem Umgang mit Geflüchteten.

Bezogen auf Geschlechterpolitik scheint es, als wären die Anforderungen der Frauenbewegung erfüllt. Anerkennungsgewinne für Frauen werden verzeichnet. Diese Konfliktlösungen haben jedoch Grenzen. Dies manifestiert sich in hierarchischen Ordnungen, Gewaltverhältnissen, Missachtung von Carearbeit und Individualisierungen von fehlgeschlagenen Lösungen.

Es gibt auch einen sozialpolitischen Verdeckungszusammenhang: Jenseits der Erwerbsarbeit wird jede Arbeit, wie Carearbeit, als selbstverständlich abgewertet. Bilder von starken Frauen können Leitbilder bieten, die Zumutungen für Frauen bedeuten. Scheitern oder Gelingen wird individualisiert. All diese Entdeckungen ergeben einen Verdeckungszusammenhang.

4. geht Frau Bitzan auf die Rolle der Sozialen Arbeit ein. In ihr wirkt auch der Verdeckungszusammenhang. Es erfolgt die Umwandlung von einer politischen zu einer pädagogischen bzw. sozialarbeiterischen Frage. Dies führt zu Zielgruppen, folglich wird nur ein Schwerpunktthema den AdressatInnen zugeschrieben. Konstruktion von Zielgruppen und Problematiken wird auch zur Aufgabe von SozialarbeiterInnen gemacht. Probleme werden als Mangel an Kompetenz der Personen und nicht als gesellschaftliches Problem wahrgenommen. Der Kampf um Anerkennung scheint sich auf diesem Weg in das Innere von Individuen zu verlagern, die Sphäre der Politik bleibt außen vor. Das Streben nach Selbstachtung hat keinen Bezugspunkt mehr. Der ökonomische Standpunkt in der Politik ist häufig der gewichtigste.

5. kann die Adressatenorientierung als Chance verstanden werden. Konflikte werden nicht nur im Rechtsrahmen, sondern auch in der konkreten Handlungsebene erlebt. Konfliktorientierte Arbeit wird häufig als unmodern und zu kompliziert dargestellt. Diese Konfliktorientierung ist jedoch produktiv:

Durch weniger Adressierungen als Konfliktreduktion werden Gewissheiten verlassen und Adressierungspraxen können reflektiert werden. Adressierungen reduzieren Konfliktpotentiale, sie konstruieren Gruppen zu einem bestimmten Zweck der Problembearbeitung. Es wird verallgemeinert, wie AdressatInnen seien, was sie könnten oder nicht könnten. Zuweisungen als Schüler können zB Erklärungsnot für schulischen Misserfolg bei dem Handeln des Individuums als Schüler verkürzen. Andere Rollen, auch die Rolle der BeobachterIn, werden außen vorgelassen. Auf der Klientenseite äußert sich die Adressierung durch Unbehagen, Schweigen oder gestische Ablehnung. Auf der professionellen Seite können Ungenauigkeit oder Paternalismus festgestellt werden, man meine es schließlich gut. Aber die Lebenswelt wird reduktionistisch wahrgenommen. Der Gegenvorschlag lautet daher, einen relationalen AdressatInnenbegriff zu verwenden, durch den für die AdressatInnen weitere Reaktionsmöglichkeiten geöffnet werden.

Das Soziale kann von der Lebenspraxis her gedacht werden, um Zugang zu erweiterten Erkenntnissen zu erlangen. Widersprüchliche Verhaltensweisen der AdressatInnen können als Erkenntnisfenster wahrgenommen werden. Also weniger Diagnosen, mehr ein Fallverstehen. Weder AdressatInnenseite noch die professionelle Seite soll alleingültig dastehen, sondern es sollte für einen Ausgleich der beiden Seiten gesorgt werden. Andere Rollen sollten also wahrgenommen werden. Dieses gemeinsame Herausfinden kann in offenen Zugangsmöglichkeiten geschehen.

Die Artikulation und Stärkung der AdressatInnenposition, also Artikulationschancen, sollten durch formalisierte Widerspruchsrechte ausgebaut werden. Betroffenheiten müssen thematisiert werden, nicht Zugehörigkeit zu einem Klientel wie „Frau“ oder „Jugendlicher“. Am Verhalten von Trägern und Institutionen sollte sich etwas ändern.

Konfliktorientierung wirkt also als politische Haltung gegen Standardisierungen, Reduzierungen und Personalisierungen.

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Prof. Dr. Lessenich aus der Universität München lieferte mit seinem Vortrag „Doch die Verhältnisse, sie sind nicht so: Zwischenbetrachtungen im Prozess der Aktivierung“ einen guten Einstieg in die Thematik des diesjährigen Bundeskongresses der Sozialen Arbeit. Wir bieten Ihnen eine Zusammenfassung des Vortrages und einen Audiomitschnitt.

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Allgemeine Informationen zum Bundeskongress und mehr zu Eröffnungsreden können Sie in unserem Artikel der letzten Woche nachlesen.

Sie können hier die komplette Rede, aufgeteilt in 2 Teile, nachhören:

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Bitte beachten Sie, dass die folgende Zusammenfassung natürlich nicht die Tiefe der Rede erreicht.

Dass gesellschaftliche Umbrüche festgestellt werden, wirkt manchmal regelmäßig. Dennoch verändert der europäische Sozialstaat seit zwei Jahrzehnten sein Gesicht. Lebensumstände werden individualisiert, die globale Ökonomisierung ist vorangeschritten. Die politische Umformierung wird mit dem Schlagwort Aktivierung beschrieben. Schon Bill Clinton sagte: „We have to end welfare as a way of life“, 1996 wurde ein neues Bundesgesetz in den USA erlassen. Die zeitliche Begrenzung von sozialen Hilfen führte in Deutschland zu „fördern und fordern“. Der modernisierte Staat soll BürgerInnen zu marktkonformen Verhalten bringen, wie z.B. Investitionen in die eigene Zukunft, je nach finanziellen Möglichkeiten. Es zeigt die Wahrnehmung, dass Marktwirtschaft alles besser könne. Es gebe kein richtiges Leben abseits von Markt und Arbeit. SozialstaatsbürgerInnen werden damit zu potentiellen Akteuren auf dem Arbeitsmarkt.

Die Wende zur Aktivierung kommt mit der Individualisierung der Problemen einher. Selbstverantwortlichkeit, Selbststeuerung und Eigenvorsorge: Die Sorge um die eigene Wohlfahrt ist selbstverständlich geworden. Ein vermeintlich passiver Leistungsbezug soll durch Akteure ersetzt werden. Die Sozialpolitik drängt damit jedoch nicht auf die Veränderung der problematischen Verhältnisse sondern reduziert sie auf als problematisch wahrgenommene Verhaltensweise. Politisch alltägliche Begriffe wie „Flüchtlingskrise“, „Langzeitarbeitslose“ und „Wirtschaftsflüchtlinge“ machen dies deutlich.

Die Streitfrage lautet: Was ist sozial? Normativ, also dass Soziales nur gut sein kann, verstanden, scheint es unmöglich, dass es neoliberales Soziales gibt. Aber die Zuschreibung von Sozialem muss nicht einen guten Anteil haben. Denn die neosoziale Tendenz ökonomisiert den sozialen Sektor. Z.B. soll die Selbststeuerung in gesundheitlicher Versorgung oder Rentenvorsorge die Gesellschaft schonen. Auch die Formulierung der „Überalterung der Gesellschaft“ sollte hinterfragt werden.

Als Zwischenfazit lässt sich feststellen: Ohne eine soziale Agenda gibt es keinen gesellschaftlich akzeptierten Neoliberalismus.

Der realexistierende Neoliberalismus versucht, sich als angepasst und im Dienst der Allgemeinheit darzustellen. Ideologisch und institutionell muss das Bild der angeblich notwendigen selbstverantwortlichen BürgerInnen vermittelt werden.

Wir erleben eine sozialpolitische Transformation. Nach dem Ende des Kalten Krieges ist der Ausbau des Sozialen im Westen nicht mehr notwendig. Es ist der Beginn einer Verschiebung von öffentlicher zu privater Verantwortlichkeit. Die Aktivierung soll ein neues Wachstumsmodell implementieren, welches auf die Befreiung des Marktes und der Eigenverantwortung basiert.

Die Aktivierungspolitik ist jedoch auf Akteure angewiesen, die sie umsetzt, sie ist also nicht alternativlos. Ein Beispiel liefern Beiträge zur sogenannten Flüchtlingskrise. Eine als einwanderungsfreundlich getarnte Rede des Bundespräsidenten enthält die Aussage „Unser Herz ist weit, Möglichkeiten sind endlich.“ Es wird von „Hunderttausenden aus fremden Kulturen“ gesprochen und als unangemessen bezeichnete Verhaltensweisen erwähnt. Aber: Geflüchtete sind keine bloßen Objekte von Grenzregimen. Sie sind Herren und Herrinnen ihres Lebens und ihrer Lebensgeschichte.

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