In der Debatte um Rente und Altersarmut wird immer wieder das österreichische System als Positivbeispiel herangezogen. Doch warum genau? Was unterscheidet eigentlich das österreichische vom deutschen Rentensystem?
Die ARD-Sendung plusminus zeigte im Frühjahr 2017 einen Beitrag mit dem Titel: „Renten in Österreich – Vorbild für Deutschland?“ (auf Youtube z.B. hier zu finden). Darin kommt auch Matthias W. Birkwald, rentenpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag zu Wort: „In Deutschland haben wir viel zu sehr auf kapitalgedeckte Altersvorsorge geschaut. Die ist, wie sich jetzt in der Niedrigzinsphase zeigt, gescheitert. Österreich hat das besser gemacht. Auf die Umlage gesetzt, und das sollten wir in Deutschland auch wieder tun.“ Maßgebliche Unterschiede der Rentensysteme hat die Hans-Böckler-Stiftung vor einigen Jahren in einer Studie erfasst. Deutschland und Österreich seien sich wirtschaftlich ähnlich, bei der Rente allerdings ganz andere Wege gegangen, heißt es dort. Und die kapitalgedeckte Altersvorsorge habe sich nicht so bewährt, wie gehofft: „Einen wichtigen Grund für das schwächere Abschneiden des deutschen Alterssicherungssystems sehen die Wissenschaftler darin, dass sich die Erwartungen, die zur Jahrtausendwende mit einem teilweisen Umstieg auf Kapitaldeckung verbunden waren, nicht erfüllt haben. Die deutlichen Reduzierungen in der GRV werden durch die kapitalgedeckte „zweite“ (betriebliche Altersvorsorge) und „dritte“ (Riester-Rente) Säule oft nicht ausgeglichen.“ Wesentliche Unterschiede der Rentensysteme liegen darin, dass Österreich eine Mindestrente hat (im Gegensatz zu Deutschland, wobei diese auch im deutschen Koalitionsvertrag angestrebt wird), mehr vom Bruttoinlandsprodukt für die Rente ausgibt und alle, auch Selbständige, in die gesetzliche Rente einzahlen müssen.
Österreichische Rentner/innen bekommen im Schnitt etwa 60 Prozent mehr Rente als Deutsche im Ruhestand. Von höheren Renten können in der Alpenrepublik laut der Studie auch Menschen mit prekären Einkommen profitieren: „Auch Geringverdiener sind nach Analyse der Wissenschaftler im österreichischen System merklich besser abgesichert. Neben dem höheren Rentenniveau sichern die von der Rentenversicherung ausbezahlten, steuerfinanzierten „Ausgleichszulagen“ mit rund 12.000 Euro jährlich (für Alleinstehende) Rentnern ein merklich höheres Mindesteinkommen.“
Die Unterschiede hat der Fernsehbeitrag der ARD (s.o.) im Einzelnen übersichtlich zusammengestellt:
Höhere Anrechnung: Im Vergleich zu Deutschland gibt es in Österreich für jedes Versicherungsjahr eine höhere Rentengutschrift. Da gilt immer noch der Grundsatz: Die gesetzliche Rente muss im Alter den Lebensstandard sichern. Nach 45 Arbeitsjahren bekommt ein Rentner in Österreich um die 80 Prozent seines durchschnittlichen Bruttoeinkommens. In Deutschland sind es nur gut 44 Prozent, Tendenz: fallend. Der enorme Unterschied hat selbst Rentenexperten in Österreich überrascht. Das Leistungsniveau in Deutschland reiche in vielen Fällen nur noch für Renten unterhalb der Armutsgrenze. „Mit dem haben wir absolut nicht gerechnet. Das ist aus österreichischer Perspektive schon sehr komisch, dass ein reiches Land wie Deutschland sich kein besseres Rentensystem leistet“ so Dr. Josef Wöss von der Arbeiterkammer Wien.
Erwerbstätigenversicherung: Anders als in Deutschland zahlen in Österreich alle Erwerbstätigen in die Rentenkasse ein. Auch Selbstständige und Geringverdiener. Bis zur Einkommensgrenze von 4980 Euro müssen Beiträge bezahlt werden. Die Versicherungspflicht beginnt ab einem Einkommen von rund 450 Euro. Die Grenze für beitragsfreie geringfügige Beschäftigungen liegt bei 425,70 Euro. Wer mehr verdient, muss Beiträge in die Rentenkasse zahlen.
Bruttoinlandsprodukt: Deutschland gibt nur knapp zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Renten aus. Österreich dagegen 14 Prozent.
Betriebsrenten und Privatvorsorge: 90 Prozent der Österreicher verlassen sich auf die gesetzliche Rente. Nur zehn Prozent haben eine zusätzliche Betriebsrente. Eine teure staatlich geförderte Privatvorsorge auf Kosten der gesetzlichen Rente blieb den Österreichern erspart.
Beitragssätze: Dafür ist der Beitragssatz zur gesetzlichen Rente mit 22,8 Prozent höher als in Deutschland. Die Arbeitnehmer zahlen aber nur 10,25, die Arbeitgeber dagegen 12,55. Die Wirtschaftskammer in Wien beklagt das natürlich. „Wir haben einen europäischen Spitzensatz erreicht. Wir würden gerne die Lohnnebenkosten senken, erhöhen geht ganz sicher nicht mehr“, sagt Dr. Martin Gleitsmann von der Wirtschaftskammer Österreich.
Kostenvergleich: Alle Versuche, etwas zu ändern, waren bisher aber politisch nicht durchsetzbar. Anders als in Deutschland. „Es ist ja keine Kostenersparnis, wenn ich vom gesetzlichen System zu einer privaten Vorsorgeform wechsle. Dadurch werden ja fürs erste keine Kosten gespart. Bestenfalls verlagert. Vieles spricht dafür, dass das sogar deutlich teurer wird“, so Dr. Josef Wöss von der Arbeiterkammer Wien.
Mindestrente: Sybilla Wojslaw ist Krankenschwester in einer Wiener Privatklinik. Wie viele andere Erwerbstätige auch, wird sie bis zu ihrer Rente weder den Durchschnittsverdienst noch 45 Beitragsjahre erreichen. Insgesamt wird sie vielleicht auf 35 Jahre kommen. Es könnte ein bisschen knapp werden, fürchtet sie. Allerdings wird ihre Rente immer noch weit über der Armutsgrenze liegen.
Alle, die nur eine Rentenhöhe unterhalb der Armutsgrenze erreichen, haben Anspruch auf eine Ausgleichszahlung. Finanziert aus Steuermitteln. Eine Art Mindestrente. Deutlich höher und weniger bürokratisch als die Grundsicherung in Deutschland.
„Wenn das Haushaltseinkommen bestimmte Grenzen nicht erreicht, das ist für eine alleinstehende Person 890 Euro im Monat beziehungsweise für einen Paar-Haushalt 1350 Euro, wenn diese Einkommensgrenze nicht erreicht wird, dann wird die Differenz zwischen der eigenen Pensionshöhe und dieser Ausgleichszulagengrenze zugezahlt“, so Magistra Christine Mayrhuber vom Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO). Geprüft wird dafür nur das Einkommen. Nicht das Vermögen. Senior/innen in Österreich können ihr Erspartes und ihr Auto behalten.
Binnennachfrage: Der Wiener Wirtschaftsforscher Stephan Schulmeister war lange Jahre Gastprofessor an internationalen Universitäten. Gerade ist er selbst in Pension gegangen. Sein Credo: Übermäßiges Sparen bei den Renten schadet am Ende der Wirtschaft. „Ich glaube, Deutschland ist mit dem Sparen bei den Renten nicht am richtigen Weg, weil man ja damit systematisch die Konsumnachfrage dämpft und auch die soziale Ungleichheit in der Gesellschaft erhöht.“
Rentenreformen: Allerdings fällt auch in Österreich das Geld nicht vom Himmel. In den nächsten Jahren wird die Versorgung der Beamten an die der Normalbürger angeglichen und die Renten werden abgesenkt. Sie bleiben aber auch in Zukunft erheblich höher als in Deutschland.
Da der Fernsehbericht von 2017 und die Studie der Hans-Böckler-Stiftung aus dem Jahr 2016 nicht auf dem aktuellen Stand sind, können die zitierten Angaben von der aktuellen Situation abweichen.