Laut den TeilnehmerInnen der Johannefahrt „Soziale Gerechtigkeit“ ist in Schleswig-Holstein derzeit nicht das Glück der am schlechtesten gestellten Personen berücksichtigt. Bei den TeilnehmerInnen handelt es sich um ein soziales Bündnis aus Arbeiterwohlfahrt (AWO), Sozialverband Deutschland (SoVD) und Deutschem Gewerkschaftsbund (DGB).
Eine überzeugende Theorie der Gerechtigkeit müsse immer auch das Glück der am schlechtesten gestellten Person berücksichtigen. Nach dem bereits verstorbenen US-amerikanischen Philosophen John Rawls müssten demnach auch Benachteiligte einer Gesellschaft den Prinzipien einer gerechten sozialen Ordnung zustimmen können. Dieser Idealzustand ist laut dem Bündnis in Schleswig-Holstein nicht erreicht. In der Stellungnahme wird sich besonders auf die jüngsten und ältesten Mitglieder der Gesellschaft bezogen.
Etwa 61.000 von insgesamt rund 370.000 Kindern unter 15 Jahre leben im nördlichsten Bundesland in einem Haushalt, der Hartz IV-Leistungen bezieht. Das ist fast jedes sechste Kind. Nach Angaben des Kinderhilfswerk Unicef wächst die Kinderarmut in Deutschland schneller als in den meisten anderen Industriestaaten. „Die Zahlen sind alarmierend“, sagt AWO-Landesvorsitzender und SPD-Abgeordneter im Landtag Wolfgang Baasch, „und die Folgen, die sich daraus für jedes einzelne Kind ergeben, sind nicht wieder rückgängig zu machen.“ Kinder, denen der Zugang zu Bildung und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben wie der Besuch von Sportvereinen oder anderen Freizeitmöglichkeiten verwehrt bleibe, hätten in der Zukunft auch schlechtere Chancen auf einen guten Bildungsabschluss und seien in ihrer körperlichen und gesundheitlichen Entwicklung stärker eingeschränkt.
„Dass Kinder ihre subjektive Lebenszufriedenheit bereits als schlecht beurteilen, ist für unseren Sozialstaat beschämend“, kommentiert AWO-Landesgeschäftsführer Michael Selck den jüngsten Unicef-Bericht. In Deutschland sind demnach die am stärksten benachteiligten Kinder weiter abgehängt als in vielen Vergleichsländern. Und das obwohl die deutsche Wirtschaft wächst und die Beschäftigungsdynamik seit dem Jahr 2005 ungebrochen ist.
In Deutschland sind mehr als 536.000 RentnerInnen auf Grundsicherung im Alter angewiesen. In Schleswig-Holstein haben am Jahresende 2015 mehr als 20.200 BürgerInnen über 64 Jahren vom Staat Geld aus der Grundsicherung erhalten, weil ihr Renteneinkommen nicht für das Existenzminimum reicht. Das ist die höchste Zahl seit Einführung der Statistik im Jahr 2003. Im Vergleich zu 2014 ergibt sich ein Zuwachs um gut drei Prozent. Verglichen mit 2010 beträgt der Anstieg 30 Prozent.
Hinter diesen Statistiken verbergen sich Menschen, die nicht nur unter materieller Not, sondern auch unter vermehrter sozialer Isolation leiden. „Die dramatisch zunehmende Altersarmut muss endlich wirksam bekämpft werden“, fordert der SoVD-Landesvorsitzende Wolfgang Schneider. Dazu sei es in einem ersten Schritt nötig, die geplante Absenkung des Rentenniveaus auf 43 Prozent zu verhindern. Darüber hinaus müsse ein Freibetrag für die gesetzliche Rente bei der Grundsicherung eingeführt werden: „Es kann nicht sein, dass jemand, der sich einen gesetzlichen Rentenanspruch beispielsweise von 500 Euro erarbeitet hat, in der Grundsicherung genauso gestellt wird, wie jemand, der gar nicht gearbeitet hat. Es darf auch nicht angenommen werden, dass die jüngst beschlossene Rentenerhöhung diese Defizite ausgleicht, da die jahrelangen konkreten Rentenkürzungen zu einer deutlichen Rentenminderung geführt haben“, so Schneider.
Als mittelfristiges Ziel bezeichnete der SoVD-Landesvorsitzende die Weiterentwicklung der heutigen Rentenversicherung in eine solidarische Erwerbstätigenversicherung, die mehr soziale Sicherheit schafft, die Solidargemeinschaft stärkt und dem Strukturwandel der Arbeitswelt Rechnung trägt.
„Trotz der robusten Wirtschaft und rückläufigen Erwerbslosenzahlen steigen unaufhörlich die atypischen und prekären Beschäftigungsverhältnisse, von denen die Menschen nicht leben können. Diese Erwerbsarmut führt auch im Alter zur Armut. In keinem Land ist es so ausgeprägt wie in unserem. Ausschließlich gute Arbeit, von der die Menschen tatsächlich leben können, sichert und stärkt die Familien, Alleinerziehenden und Kinder. Es gilt den Wettbewerb über Qualität und nicht über Sozial- und Lohndumping zu fördern“, ergänzt Frank Hornschu vom Deutschen Gewerkschaftsbund aus Kiel.
Soziale Gerechtigkeit ist in der Bundesrepublik als ideelles Ziel aus dem Sozialstaatsgedanken des Artikel 20, Absatz 1 des Grundgesetzes abgeleitet. Dort heißt es: Die Bundesrepublik ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. „Wir wollen allen Menschen in Schleswig-Holstein unabhängig von ihrer Herkunft, von ihrem Alter, Geschlecht oder ihrem Bildungsstand die Möglichkeit zu einem Leben in Würde und Selbstachtung geben“, sagt Baasch. Die Teilhabe an den materiellen und geistigen Gütern einer Gesellschaft sei die Voraussetzung für eine demokratische Gesellschaft. „Und in keiner anderen wollen wir leben“, so der AWO-Landesvorsitzende.