Seit Anfang 2024 geraten in Deutschland immer mehr Pflegeeinrichtungen in finanzielle Schieflage. Laut Erhebung des Arbeitgeberverbands Pflege (AGVP) haben seitdem 1.264 Pflegeeinrichtungen Insolvenzen oder Schließungen bekannt gegeben.
Im Deutschen Ärzteblatt vom 08. April heißt es mit Bezug auf die Erhebung: „Tatsächlich dokumentierte der Arbeitgeberverband Pflege bereits Anfang vergangenen Jahres in einer eigens erstellten ‚Deutschlandkarte Heimsterben‘, wie stark die Branche unter Druck steht. Mehr als 800 Insolvenzen oder Schließungen in der Altenpflege zählte der Verband demnach im Jahr 2023.“
Zentrale Ursache für die finanzielle Schieflage vieler Pflegeanbieter ist laut AGVP die „mangelnde Zahlungsmoral der Krankenkassen“. Dazu erklärt AGVP-Präsident Thomas Greiner am 15. April: „Die Pflegekassen tragen laut Sozialgesetzbuch die Verantwortung für die Versorgung. Doch sie können diesen gesetzlichen Auftrag ignorieren, denn Konsequenzen müssen sie nicht fürchten. Also sanieren sich viele Kassen auf Kosten der Einrichtungen: Sie erkennen Kostensteigerungen nicht an, mauern bei Nachverhandlungen und verschleppen den Abschluss von Verträgen.“ Besonders problematisch ist dies mit Blick auf die notwendigen Gehaltserhöhungen in der Pflege. Hierzu erkennt der AGVP an: „Stetig steigende Mindest- und Tariflöhne sind ein nachvollziehbares Anliegen, aber sie müssen sich auch refinanzieren lassen, ohne Pflegebedürftige und -unternehmen zu belasten. Wenn Pflegeanbieter auf steigenden Lohnkosten sitzen bleiben, geraten sie in existenzielle Not.“
Hierbei handelt es sich allerdings um die Position des Interessenverbandes der Arbeitgeber. Die Kritik mag deshalb nicht falsch sein, allerdings gehört auch die Frage dazu, was der AGVP unter „existenzieller Not“ versteht. Hierbei ist ein Interessenkonflikt nicht ausgeschlossen.
Während die Pflegekassen nach §12 Abs. 1 S. SGB XI „für die Sicherstellung der pflegerischen Versorgung ihrer Versicherten verantwortlich [sind]“ und „dabei [nach Satz zwei] mit allen an der pflegerischen, gesundheitlichen und sozialen Versorgung Beteiligten eng zusammen[arbeiten], […] um eine Verbesserung der wohnortnahen Versorgung pflege- und betreuungsbedürftiger Menschen zu ermöglichen“, gilt auf der anderen Seite nach § 4 Abs. 3 SGB XI: „Pflegekassen, Pflegeeinrichtungen und Pflegebedürftige haben darauf hinzuwirken, dass die Leistungen wirksam und wirtschaftlich erbracht und nur im notwendigen Umfang in Anspruch genommen werden.“
Daraus ergibt sich die Fragestellung, ob bei Leistungserbringern, die nicht gemeinnützig arbeiten, zur „Wirtschaftlichkeit“ auch gehört, dass sich aus der Unternehmung „lohnende Gewinne“ ergeben. Wie und wo beeinflusst Marktversagen die Schließung von Pflegeeinrichtungen, und sollte es dort ergänzende Pflegeeinrichtungen geben, die unabhängig von ihrer Rentabilität direkt durch staatliche Träger betrieben werden, um den Versorgungsauftrag sicherzustellen?
Diese Frage gilt es besonders dann zu stellen, wenn es von Seiten des AGVP heißt: Die Innovationsfähigkeit und Effizienz in der Pflege werden durch strikte Vorgaben und Regularien behindert. Digitale Lösungen und optimierte Arbeitsorganisation stoßen auf Widerstand, da der Fokus auf der Anzahl und Qualifikation der Mitarbeitenden liegt, anstatt auf den Ergebnissen. Gleichzeitig erschweren politische Vorgaben wie Bauvorschriften, Fachkraftquoten und starre Regeln die Schaffung neuer Pflegeangebote.
Von Seiten der Betroffenen, Angehörigen und Fachkräfte darf jedoch mit Skepsis darauf geblickt werden. Ob es sich hierbei letztendlich um tatsächliche Verbesserungen handelt oder ob Effizienz und digitale Lösungen lediglich Kostensenkung durch mittelfristige Mehrbelastung bei Fachkräften und/oder einen Abfall bei der Qualität der Angebote – zu der in der Pflege zwangsläufig der Mensch-zu-Mensch-Kontakt gehört – bedeuten, bleibt an dieser Stelle noch zu klären.
Wenn „Fachkraftquoten“ unrentabel erscheinen, dann stellt sich eben nicht automatisch die Frage nach weniger Quote, sondern ebenso danach, ob es an dieser Stelle eines staatlichen Trägers bedarf oder ob die Pflegesätze nicht „die Versorgung der Versicherten sicherstellen“ (zu diesem Thema siehe auch: Effizienz in der Pflege?). Auf der anderen Seite gilt aber auch: Dort, wo es keine Fachkräfte gibt, braucht es neue Konzepte. Es zeigt sich also eine komplizierte Gemengelage mit unterschiedlichen Blickwinkeln, die alle unter einen Hut gebracht werden wollen.
Für bestehende Angebote, die den Leistungsarten des § 28 SGX XI entsprechen, ist es allerdings mehr als legitim, dass der AGVP fordert, dass die Kassen ihre Fristen zur Genehmigung und zur rechtzeitigen Kostenerstattung einhalten.
Zusammenfassend bleibt die Refinanzierung von Kostensteigerungen ab dem Zeitpunkt ihres Entstehens ein komplexes Problem, das über die Verantwortung von Kassen, Trägern und Gesundheitsämtern hinausgeht. Alle Akteure teilen das Anliegen einer angemessenen und ausreichenden Finanzierung, die letztlich von der Entscheidung der Regierung, insbesondere des Finanzministeriums und erst in zweiter Linie des Gesundheitsministeriums, abhängt. Wie bereits in unserem Artikel zur Pflegereform erläutert, liegt hierin eine Herausforderung für die Zukunft der Pflege.