Logo DISW

27. November 2015

ZeitzeugInnen im Spannungsfeld von Weltzeit und Lebenszeit

Laut Prof. Dr. Karl-Heinz Braun ist jeder Mensch potentieller Zeitzeuge, Weltzeit und erlebte Zeit gehen ineinander über. Auf dem Bundeskongress Soziale Arbeit beschreibt er diese Sichtweise am Beispiel des 17. Juni 1953 in Magdeburg.

Weiterlesen

Karl-Heinz Braun stellte den Ansatz im Rahmen des Workshops „Bildung und Lernen im Alter“ vor. Die Ausführungen knüpfen an den Gedanken an, dass Bildung im Alter vor allem biografisch orientiert ist. 

Um Menschen als Zeitzeugen verstehen zu können, sind der geschichtliche Rahmen, sozusagen die Weltzeit, von Bedeutung: 1953 verdichtete sich in der DDR, und damit auch in Magdeburg, eine Versorgungskrise. Im März 1953 starb Stalin, Reformkräfte sahen mögliche andere Wege im Sozialismus. Ein Politbürobeschluss führte zu Demonstrationen in verschiedenen Städten der DDR. Nach den Demonstrationen und ihrer Niederschlagung kommt es zu einer Umorientierung der Beschlüsse, Gründung des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS, auch Stasi genannt) und der Betriebskampfgruppen. Von den Demonstrationen gibt in Magdeburg ist bisher kein Bildmaterial bekannt, die Rolle der ZeitzeugInnen wird also prägender. Auch ist es lohnenswert zu beachten, welche der geschichtlichen Ereignisse und wie diese Ereignisse in den Erzählungen der ZeitzeugInnen vorkommen.

Mit älteren Menschen wurden biografische Interviews durchgeführt. Anhand des Beispieles der Ereignisse des 17. Juni in Magdeburg machte Herr Braun einige grundsätzliche Probleme beim Umgang mit ZeitzeugInnen deutlich. Die Interviews wurden keiner Wertung unterzogen, es geht um die Selbstbildung der Betrachtenden. Zu dem Projekt gehörten auch Fotomontagen, welche das erlebte Spannungsfeld darstellen sollen. Karl-Heinz Braun zeigt Ausschnitte aus diesen Interviews, es werden verschiedene Aspekte deutlich:

Erstens die existenzielle Dimension der Ereignisse, vor allem das Durchfahren der Panzer führte zur Existenzangst einer Zeitzeugin gegenüber Panzern. Die Nähe zur sowjetischen Armee bleibt als Bedrohungsgefühl, obwohl positive Erfahrungen, die Befreiung von den Nazis, mit sowjetischen Armeeangehörigen gemacht wurden. In den Erzählungen stecken historische Interpretationen, so wird z.B. die Anwesenheit der sowjetischen Armee als größte Bedrohung beschrieben.

Zweitens tauchen in einem weiteren Interview Erinnerungen zwischen den Erzählungen auf, es ist wichtig diesen Spuren zu folgen. Die Überschneidung von Weltzeit und Lebenszeit werden deutlich, es werden also auch geschichtliche Aspekte mit persönlicher Erfahrung gemischt. Erfahrungen, das Verschwinden von KollegInnen, wird mit einer vermuteten Anschwärzung in Verbindung gebracht.

Drittens wird in einem Interview der Entwurf der Biografie deutlich, denn die Krisen in der DDR kommen in dieser Biografie nicht vor. Auch die Geschehnisse des 17. Juni bekam die erzählende Person nicht mit, Einflüsse von außen wurden stattdessen betont. Der Staat wird in dem persönlichen Entwurf nicht als Gesellschaft mit Problemen, sondern als Opfer konstruiert.

Die Interviewauszüge und Fotomontagen wurden uns von Prof. Dr. Braun zur Verfügung gestellt.

Schließen



Weitere interessante Beiträge zu diesem Thema finden Sie auch in: Gesellschaftliches Leben, Zivilgesellschaft