Nach Angaben der schleswig-holsteinischen Bildungsministerin Karin Prien kommt der Akademisierung in der Pflege eine hohe Bedeutung zu, wenn es um eine zukunftsgerechte Deckung der Bedarfe in Schleswig-Holstein geht. Dies geht aus einer Anfrage der Abgeordneten Birte Pauls (SPD) an die Landesregierung vom 6. November 2024 hervor.
Das Ziel laut Anfrage (Teil II) ist es, durch die Akademisierung des Berufsfeldes dem Fachkräftemangel in der Pflege entgegenzuwirken. Dennoch bleibt die Auslastung der angebotenen Studienplätze überschaubar (Anfrage Teil I): Die Fachhochschule Kiel bietet seit 2023 jährlich 60 Plätze an, ist jedoch nur zur Hälfte ausgelastet. Die Universität zu Lübeck startete im Wintersemester 2024/25 mit 66 Plätzen in zwei Pflege-Studiengängen. Ab dem Studienjahr 2025/26 plant die Hochschule Flensburg einen weiteren Studiengang mit jährlich 40 Plätzen. Um dabei eine praxisrelevante Ausbildung zu gewährleisten, erfolgt in Kiel eine Anbindung an die berufliche Pflegeausbildung. In Lübeck findet ein berufsbegleitendes Studium statt, das durch Fortbildungen für Praxisanleiter*innen ergänzt wird. Beide Hochschulen bieten zudem Weiterbildungen und Qualifikationsprogramme für Absolvent*innen und Anleitende an.
Dennoch verfügen aktuell lediglich 1,79 % aller Pflegekräfte in Schleswig-Holstein über einen akademischen Abschluss. „Gründe für den geringen Akademisierungsgrad liegen u. a. in fehlenden qualifikationsgerechten Jobchancen nach dem Studium und zu wenigen Möglichkeiten und Befugnissen, das erworbene Fachwissen anzuwenden. Nach Rückmeldungen aus der Praxis fehlen aktuell insbesondere Pflegehilfskräfte mit ein- oder zweijähriger Ausbildung (sog. Qualifikationsniveau 3) sowie Pflegefachpersonen (sog. Qualifikationsniveau 4).“
Kurz: Es gibt momentan zu wenig Bedarf an akademisch qualifizierten Kräften und gleichzeitig einen Mangel an Hilfs- und Fachpersonal. Dass dieses Problem bekannt ist, verdeutlicht die Frage von Pauls, inwieweit die Zahlen der Absolvent*innen den Bedarf im Pflegebereich des Landes decken können.
In ihrer Antwort verweist Prien auf das Ziel, mit Hilfe des Personalbemessungsinstrumentes (PeBeM) die Rollen- und Aufgabenverteilung in der Langzeitpflege weiterzuentwickeln, indem Kompetenzen berücksichtigt werden. Akademisch ausgebildete Pflegefachkräfte brächten durch ihr Fachwissen und ihre Professionalität wesentliche Beiträge, etwa bei der Beurteilung des Pflegebedarfs sowie der Steuerung komplexer Pflegeprozesse. Sie sollen mittelfristig zur Übernahme bestimmter ärztlich vorbehaltener Aufgaben befähigt werden. Wie Prien jedoch betont, hängt der Einsatz der Mitarbeitenden nach Qualifikation im neuen PeBeM letztlich von der Struktur der Bewohnenden ab.
Wie wir allerdings bereits in unserem Artikel zur Effizienz in der Pflege geschrieben haben, ist für die nächsten Jahre mit einem immer stärkeren Anstieg an pflegebedürftigen Personen zu rechnen – und dafür braucht es Personal, das Geld kostet. Ohne praktische Anpassungen, einschließlich finanzieller Mittel und ausreichendem Personal, bleibt die Wirkung der Qualifikationsoffensive fraglich.
Die Akademisierung könnte zwar Qualität und Effizienz steigern, aber der wachsende Pflegebedarf erfordert ausreichend Personal, das sich gegenseitig ablösen kann. Höhere Qualifikationen führen zwangsläufig zu steigenden Kosten – die Frage bleibt, wer diese trägt. Was nicht von den Einrichtungen, den Kassen oder den Kommunen übernommen wird, wird entweder durch eine Unterbezahlung der Absolvent*innen eingespart – so findet sich im PeBeM bisher kein direkter Hinweis auf Personal über „Qualifikationsniveau 4“ – oder führt zum Abbau geringer qualifizierter Kräfte an anderer Stelle.
Letzteres würde den Fachkräftemangel nur verschärfen. Denn trotz aller Qualifikationen bleibt die Pflege ein körperlich belastender Beruf. Ohne ausreichend Personal, das Entlastung und Erholung ermöglicht, bleibt das „Steuern komplexer Prozesse“ fraglich.