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5. Oktober 2015

Impulsvortrag Stephan Lessenich: Doch die Verhältnisse, sie sind nicht so

Prof. Dr. Lessenich aus der Universität München lieferte mit seinem Vortrag „Doch die Verhältnisse, sie sind nicht so: Zwischenbetrachtungen im Prozess der Aktivierung“ einen guten Einstieg in die Thematik des diesjährigen Bundeskongresses der Sozialen Arbeit. Wir bieten Ihnen eine Zusammenfassung des Vortrages und einen Audiomitschnitt.

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Allgemeine Informationen zum Bundeskongress und mehr zu Eröffnungsreden können Sie in unserem Artikel der letzten Woche nachlesen.

Sie können hier die komplette Rede, aufgeteilt in 2 Teile, nachhören:

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Bitte beachten Sie, dass die folgende Zusammenfassung natürlich nicht die Tiefe der Rede erreicht.

Dass gesellschaftliche Umbrüche festgestellt werden, wirkt manchmal regelmäßig. Dennoch verändert der europäische Sozialstaat seit zwei Jahrzehnten sein Gesicht. Lebensumstände werden individualisiert, die globale Ökonomisierung ist vorangeschritten. Die politische Umformierung wird mit dem Schlagwort Aktivierung beschrieben. Schon Bill Clinton sagte: „We have to end welfare as a way of life“, 1996 wurde ein neues Bundesgesetz in den USA erlassen. Die zeitliche Begrenzung von sozialen Hilfen führte in Deutschland zu „fördern und fordern“. Der modernisierte Staat soll BürgerInnen zu marktkonformen Verhalten bringen, wie z.B. Investitionen in die eigene Zukunft, je nach finanziellen Möglichkeiten. Es zeigt die Wahrnehmung, dass Marktwirtschaft alles besser könne. Es gebe kein richtiges Leben abseits von Markt und Arbeit. SozialstaatsbürgerInnen werden damit zu potentiellen Akteuren auf dem Arbeitsmarkt.

Die Wende zur Aktivierung kommt mit der Individualisierung der Problemen einher. Selbstverantwortlichkeit, Selbststeuerung und Eigenvorsorge: Die Sorge um die eigene Wohlfahrt ist selbstverständlich geworden. Ein vermeintlich passiver Leistungsbezug soll durch Akteure ersetzt werden. Die Sozialpolitik drängt damit jedoch nicht auf die Veränderung der problematischen Verhältnisse sondern reduziert sie auf als problematisch wahrgenommene Verhaltensweise. Politisch alltägliche Begriffe wie „Flüchtlingskrise“, „Langzeitarbeitslose“ und „Wirtschaftsflüchtlinge“ machen dies deutlich.

Die Streitfrage lautet: Was ist sozial? Normativ, also dass Soziales nur gut sein kann, verstanden, scheint es unmöglich, dass es neoliberales Soziales gibt. Aber die Zuschreibung von Sozialem muss nicht einen guten Anteil haben. Denn die neosoziale Tendenz ökonomisiert den sozialen Sektor. Z.B. soll die Selbststeuerung in gesundheitlicher Versorgung oder Rentenvorsorge die Gesellschaft schonen. Auch die Formulierung der „Überalterung der Gesellschaft“ sollte hinterfragt werden.

Als Zwischenfazit lässt sich feststellen: Ohne eine soziale Agenda gibt es keinen gesellschaftlich akzeptierten Neoliberalismus.

Der realexistierende Neoliberalismus versucht, sich als angepasst und im Dienst der Allgemeinheit darzustellen. Ideologisch und institutionell muss das Bild der angeblich notwendigen selbstverantwortlichen BürgerInnen vermittelt werden.

Wir erleben eine sozialpolitische Transformation. Nach dem Ende des Kalten Krieges ist der Ausbau des Sozialen im Westen nicht mehr notwendig. Es ist der Beginn einer Verschiebung von öffentlicher zu privater Verantwortlichkeit. Die Aktivierung soll ein neues Wachstumsmodell implementieren, welches auf die Befreiung des Marktes und der Eigenverantwortung basiert.

Die Aktivierungspolitik ist jedoch auf Akteure angewiesen, die sie umsetzt, sie ist also nicht alternativlos. Ein Beispiel liefern Beiträge zur sogenannten Flüchtlingskrise. Eine als einwanderungsfreundlich getarnte Rede des Bundespräsidenten enthält die Aussage „Unser Herz ist weit, Möglichkeiten sind endlich.“ Es wird von „Hunderttausenden aus fremden Kulturen“ gesprochen und als unangemessen bezeichnete Verhaltensweisen erwähnt. Aber: Geflüchtete sind keine bloßen Objekte von Grenzregimen. Sie sind Herren und Herrinnen ihres Lebens und ihrer Lebensgeschichte.

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