Weiterlesen Seit die Geburtenrate in den 1970er Jahren im Vergleich zu dem vorherigen Jahrzehnt stark abgenommen hatte, war abzusehen, dass die Bundesrepublik auf eine demografische Herausforderung zusteuert. In den kommenden Jahren werden die sogenannten „Baby-Boomer“ in Rente gehen. Auch auf dem Wohnungsmarkt könnte das Auswirkungen haben. Viele ältere Menschen wünschen sich zum Ruhestandseintritt oder später Veränderungen und würden beispielsweise lieber in eine kleinere Wohnung ziehen. Auch bauliche Aspekte rücken plötzlich in den Fokus, denn trotz eines im Schnitt immer länger Lebens nehmen körperliche Beeinträchtigungen mit steigendem Alter zu. Laut der Studie „Wohnen im Alter“, die das Pestel-Institut im April vorgestellt hat, sei Deutschland auf diese Situation nicht vorbereitet. Heute sei nur etwa jede siebte Wohnung altersgerecht ausgestattet. Dabei geht es insbesondere um die Merkmale ausreichend durchgangsbreiter Haustüren und Flure sowie um eine stufen- und schwellenlose Erreichbarkeit der Wohnung. Von den Wohnungen, die bereits heute als altersgerecht eingestuft werden, wird ein Großteil jedoch noch nicht einmal von Senior*innen bewohnt. Auch für jüngere Menschen ist eine barrierearme Ausstattung ein Komfortmerkmal. Da bei der Wohnraumvergabe nicht die Bedürftigkeit, sondern die Zahlungsfähigkeit und Zahlungsbereitschaft entscheidend sind, ist der Anteil der Haushalte mit Senior*innen an barrierearmen Wohnungen nur geringfügig höher. Es fehle also schon jetzt an über zwei Millionen Senior*innenwohnungen, in den nächsten Jahren werde sich das Problem enorm verschlimmern. „Deutschland rast gerade mit 100 Sachen in die ‚Graue Wohnungsnot‘. Das Fatale ist, dass wir dazu politisch nur eine Vogel-Strauß-Taktik erleben“, wird Studienleiter Matthias Günther in einer Pressemitteilung des Bundesverbands Deutscher Baustoff-Fachhandel (BDB) zitiert. Der BDB hatte die Studie in Auftrag gegeben. Auch finanziell werde es für die Seniorinnen und Senioren von morgen eng, warnt Günther weiter: „In Zukunft werden deutlich mehr Menschen als heute auf staatliche Unterstützung angewiesen sein, um überhaupt ein Dach über dem Kopf zu haben. Und so bitter es ist: Auch ein dramatischer Anstieg der Alters-Obdachlosigkeit ist zu erwarten.“ Armutsrisiko im Alter sei vor allem die Pflegebedürftigkeit. Stationäre Pflege koste heute im Schnitt etwa 2.400 Euro, während mehr als die Hälfte der Senior*innenhaushalte monatlich über weniger als 2.000 Euro netto verfügten. Am Ende müsse dann oft der Staat einspringen – allein deshalb müsse er schon ein Interesse daran haben, pflegebedürftige Menschen so lange wie möglich zu Hause leben zu lassen. Es brauche dringend ein Förderprogramm „Altes Wohnen“. Die Studie weist zudem darauf hin, dass Umbau-Maßnahmen nicht reichen werden. Es brauche Neubau, insbesondere müssten kleinere Wohnanlagen in den Quartieren geschaffen werden. Dann könnten Senior*innen auf eine kleinere Wohnfläche umziehen, ohne dabei ihr soziales Umfeld aufgeben zu müssen.
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Weiterlesen Nach den ersten drei Jahren des „Gemeindeschwester Plus“-Modellprojekts ist das Projekt in eine ebenfalls dreijährige Verstetigungsphase übergegangen. Inzwischen ist aus dem „Vorzeigeprojekt“, wie die Landesregierung selbst es nennt, ein festes Landesprogramm geworden. Schon die Modellphase wurde wissenschaftlich begleitet und ausgewertet, im März wurde nun der zweite Evaluationsbericht in Mainz vorgestellt. „Die Evaluation zeigt, dass die Umsetzung des Projekts GS+ in den Kommunen insgesamt gut gelingt und die GS+ gut in die kommunalen Strukturen und Prozesse integriert wurden“, heißt es im Fazit des Berichts, der die hochaltrigen Senior*innen in den Blick nimmt. Hochbetagte würden sich durch das Projekt sicherer, weniger einsam und eher gesehen fühlen. Die im Rahmen des Landesprogramm tätigen Fachkräfte seien damit ein „wichtiger Baustein einer funktionierenden Kümmerer-Struktur in den Kommunen“, lässt sich Sozialminister Alexander Schweitzer auf der Seite seines Ministeriums zitieren. Entsprechend positiv nimmt der Minister die wissenschaftliche Auswertung zur Kenntnis: „Die Gemeindeschwesterplus ist aus Rheinland-Pfalz nicht mehr wegzudenken. Der vorgelegte Evaluationsbericht bestätigt, dass wir mit dem Beratungsangebot für hochbetagte Seniorinnen und Senioren genau richtigliegen.“ Aus Einsamkeit Kontakt zur Gemeindeschwester Plus gesucht zu haben, gibt rund jede*r fünfte Hochbetagte an. Auch ein Großteil der im Rahmen des Programms angestoßenen Angebote sind Maßnahmen gegen Vereinsamung. Das Thema spiele neben hauswirtschaftlichen und pflegerischen Fragen zur Versorgung auch in den Gesprächen mit den Fachkräften immer wieder eine Rolle. Gemeindeschwester Plus ist ein präventives Angebot, dass sich an Menschen ab 80 Jahren richtet, die keine Pflege, sondern Unterstützung und Beratung in ihrem derzeitigen Lebensabschnitt brauchen. Die Fachkräfte des Programms beraten, vermitteln und unterstützen die Senior*innen, beispielsweise bei Fragen rund um die Wohnsituation. Derzeit finanziert das Land Rheinland-Pfalz 39 Vollzeitstellen. Evaluiert und begleitet wird das Programm durch "inav – privates Institut für angewandte Versorgungsforschung GmbH". Den Evaluationsbericht können Sie hier herunterladen.
Digital-Kompass startet eigenen Podcast
19. April 2023Weiterlesen Die Initiative „Digital-Kompass“ von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen (BAGSO) und Deutschland sicher im Netz e. V. (DSiN) stellt schon seit Jahren Materialien zur Verfügung, um die digitalen Kompetenzen älterer Menschen zu stärken. Auch Lern-Tandems oder Beratungen und Treffpunkte vor Ort gehören zu den Angeboten des Projekts. Mit einem neuen Podcast-Projekt soll nun ein weiterer Weg genutzt werden, um „Verbraucherthemen von Menschen mit Sinnes- und Mobilitätseinschränkungen möglichst transparent aufzuzeigen“, wie es vom Digital-Kompass heißt. „Der Digital-Kompass-Podcast - Der Podcast, um gemeinsam digitale Barrieren zu überwinden“ – so lautet der Titel des neuen Formats. Künftig sollen im regelmäßigen Abstand von zwei Monaten neue Folgen erscheinen, am 28. März wurde die erste Episode veröffentlicht. Sie kann auf der Internetseite des Projekts angehört werden, ist aber auch auf gängigen Podcast-Portalen verfügbar. In der ersten Folge waren Helga Pelizäus (Universität der Bundeswehr München), Stephan Seiffert (Stiftung Digitale Chancen), Christine Freymuth (Kuratorium Deutsche Altershilfe) und Joachim Schulte (Deutschland sicher im Netz e. V.) zu Gast. Sie diskutierten grundlegende Themen der digitalen Teilhabe. „Was bedeutet ‚digitale Teilhabe‘“? „In welchen Bereichen sind die Menschen aktuell besonders damit konfrontiert?“. Diese und weitere Leitfragen werden in der ersten Podcast-Folge aufgeworfen und diskutiert. Für Fragen und Anmerkungen kann man sich die E-Mail-Adresse podcast@digital-kompass.de wenden.
Digitalisierungsstrategie für das Gesundheitswesen
5. April 2023Weiterlesen Risiken schneller erkennen, Fehlmedikation reduzieren, weniger Dokumentationsaufwand – all das sind Hoffnungen, die mit der Digitalisierung des Gesundheitssektors verbunden sind. Sie biete für diesen Bereich ein „enormes Potenzial, das wir bislang noch zu wenig nutzen“, wie Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) im Vorwort zu der nun vorgelegten Digitalisierungsstrategie erklärt. „Gerade die Pandemie hat gezeigt, dass Digitalisierung konkret erlebbare Mehrwerte bietet, die eine erfolgreiche Transformation ermöglichen: In dieser Zeit hat sich beispielsweise die Zahl der Videosprechstunden vervielfacht“, so der Minister. „Die Pflegeberatung wurde digitalisiert. Mit der Corona-Warn-App (CWA) und dem digitalen Impfzertifikat haben viele Menschen zum ersten Mal eine gesundheitsbezogene digitale Anwendung auf ihrem Smartphone genutzt.“ Die Digitalisierungs-Vorhaben, die sich die Bundesregierung für diese Legislaturperiode vorgenommen hat, werden in der 44-seitigen Publikation erklärt. Als zentrales Vorhaben gilt die Entwicklung der elektronische Patientenakte. Nach Vorstellung des BMG sollen bis zum Jahr 2025 80 Prozent der gesetzlich Versicherten über eine solche ePA verfügen. Gelingen soll das unter anderem dadurch, dass lediglich ein sogenanntes „Opt-Out-Prinzip“ gelten wird. Es ist also keine aktive Zustimmung notwendig – solange ein*e Versicherte*r nicht widerspricht, erhält er oder sie zukünftig automatisch eine elektronische Akte. „Die ePA wird für die Versicherten zur zentralen Plattform für ihre Gesundheitsversorgung“, heißt es in der Strategie. „Sie erhalten Kontextinformationen zu ihren persönlichen Daten, etwa Erläuterungen zu Diagnosen und Behandlungsoptionen sowie für sie relevante Erinnerungen und medizinische Hinweise. Außerdem sollen Daten aus Behandlungssituationen oder der Nutzung von digitalen Gesundheits- und Pflegeanwendungen (DiGA/DiPA) automatisiert in die ePA übertragen und anschließend zu Forschungszwecken nutzbar gemacht werden können.“ Ausgebaut werden soll auch die Telemedizin, einer digitalen Form der medizinischen Versorgung. Insbesondere hausärztlich unterversorgte Regionen sollen davon profitieren, bis 2026 soll es in mindestens 60 Prozent dieser Regionen eine Anlaufstelle für assistierte Telemedizin geben. Die Digitalisierungsstrategie ist unter Einbindung verschiedener Akteur*innen des Gesundheits- und Pflegewesens erarbeitet worden, darunter auch Patient*innenvertretungen.
Weiterlesen Die „Treffpunkt Internet“-Broschüre ist inhaltlich breit gefächert und beantwortet viele grundlegende Fragen rund um das Internet. Sie erklärt, wie man ins Internet kommt, welche Geräte und Programme benötigt werden und gibt wichtige Informationen zum Thema Datenschutz und Datensicherheit. Auch Fragen zur Kommunikation über das Internet, sozialen Netzwerken, Unterhaltung im Internet, Online-Informationen, Online-Shopping und -Bezahlen sowie Online-Banking werden anschaulich und leicht verständlich beantwortet. „Während die jüngere Generation mit neuen Medien aufwächst, stehen ältere Menschen bezüglich der Nutzung von digitalen Medien manchmal vor größeren Herausforderungen“, erklärt der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Die Grünen) im Vorwort der Veröffentlichung. „Dabei bieten digitale Angebote und Endgeräte wie das Smartphone, das Tablet oder der Computer gerade für Seniorinnen und Senioren viele Möglichkeiten, den eigenen Alltag zu erleichtern und aktiv teilzuhaben am gesellschaftlichen Leben. Vorausgesetzt, sie sind in der Lage, die verschiedene Medienangebote für die eigenen Zwecke zu nutzen – und diese auch kritisch zu hinterfragen.“ Genau dazu soll die Broschüre nun einen Beitrag leisten. Kretschmann ist Schirmherr der Initiative Kindermedienland, die im Auftrag des Staatsministeriums Baden-Württemberg durch das Landesmedienzentrum (LMZ) des Landes durchgeführt wird. Besonders an der Publikation sind die QR-Codes und Links, die zu digitalen Pinnwänden führen. Hier werden zusätzliche Medientipps und Anleitungen angeboten, etwa zu seriösen Online-Portalen oder der Funktionsweise von Online-Banking. Um das Verständnis der zahlreichen Fachbegriffe rund um Internet, Tablets und Smartphones zu erleichtern, bietet die Broschüre zusätzlich ein digitales Begriffslexikon als PDF an. In diesem Lexikon werden mehr als 300 Fachbegriffe und Abkürzungen wie „Backup“, „Cookie“ oder „NFC“ in leicht verständlicher Sprache erklärt. Eine zusätzliche Aussprachehilfe unterstützt dabei, die Begriffe korrekt und gekonnt auszusprechen. Die "Treffpunkt Internet"-Broschüre kann kostenlos auf der Seite der Initiative Kindermedienland Baden-Württemberg bestellt werden. Alternativ stehen dort auch eine digitale Version der Broschüre und des Begriffslexikons zur Verfügung.
Pflegeverträge: Tipps vom Pflegeschutzbund
24. März 2023Weiterlesen Seit 2002 sind schriftliche Verträge zwischen Pflegedienstleistern und pflegebedürftigen Menschen gesetzlich vorgeschrieben. Die sogenannten Pflegeverträge regeln, welche Leistungen einer pflegebedürftigen Person zustehen und welche Kosten dafür anfallen werden. Allerdings: „Da die Verträge oftmals schwer verständlich oder so global formuliert werden, sind die tatsächlichen Leistungsansprüche nicht immer erkennbar“, warnt der BIVA-Pflegeschutzbund. „Das Problem ist, dass nicht die Krankenkassen/Pflegekassen für die Prüfung der Pflege- und Betreuungsverträge zuständig sind, sondern die Pflegebedürftigen bzw. deren Pflegende, also in der Regel Laien.“ Daher widmet sich die Interessenvertretung auf ihrer Internetseite dem nicht ganz einfachen Thema. Zunächst werden die Bestandteile eines Pflegevertrages erklärt: Die Vertragspartner*innen, die Pflegeleistungen und die Kosten. Dann wird erklärt, worauf man bei den Regelungswerken im Speziellen achten sollte. Dazu gehört die Dokumentation. Alle ambulant durchgeführten Pflegeleistungen müssen jedes Mal in einer Pflegedokumentation aufgeschrieben werden. „Diese Dokumentation ist wichtig für Sie, damit Sie prüfen können, ob die vereinbarten Leistungen getätigt wurden“, heißt es in dem Informationsbeitrag. Weitere Aspekte, die genauer betrachtet werden könnten, sind Beschwerdemöglichkeiten sowie Vertragslaufzeit und Kündigungsmöglichkeiten. Schon 2018 hatte der Pflegeschutzbund eine 7-seitige Broschüre veröffentlicht, die Laien beim Lesen eines Pflegevertrages helfen soll. Auf die Publikation verweist BIVA auch weiterhin, sie kann hier heruntergeladen werden.
Weiterlesen „Computer und Internet. Fachbegriffe einfach erklärt“ heißt die über 50-seitige Publikation. Sie bietet sich ideal zum Nachschlagen von Begriffen an, die das digitale Zeitalter so mitbringt: App-Store, Backup, Hardware, IP-Adresse. Alphabetisch sortiert und aufgebaut wie ein Lexikon können entsprechende Begriffe aufgeschlagen werden. In verständlicher Sprache werden diese dann mit nur wenigen Sätzen erklärt, zu jedem Wort findet sich auch ein Bild zum besseren Verständnis. Wer das Dokument digital benutzt (also über den Link unten am Computer öffnet), kann mit dem Mauszeiger direkt auf einen Buchstaben am rechten Rand des Nachschlagewerks klicken, um zu dem gesuchten Fachbegriff zu springen. Fachwörter, die in der Beschreibung eines anderen Begriffs auftauchen und an anderer Stelle selbst erklärt werden, sind unterstrichen und können ebenfalls direkt angeklickt werden. Begriffe aus dem Englischen sind gelb markiert, da es sich laut Handbuch-Autor*innen um „Stolperwörter“ handeln könnte. Die Publikation ist die erste des Projekts „Knotenpunkte für Grundbildung Transfer“ des Trierer Bündnis für Alphabetisierung und Grundbildung. Mehr zu dem Trierer Bündnis und weiteren Knotenpunkten und Materialien finden Sie auf dessen Internetseite.
Weiterlesen „Die voranschreitende Digitalisierung setzt ein Mindestmaß an Digitalkompetenz für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben voraus“, hält die Expertenkommission in ihrem Jahresgutachten 2023 fest. „Gelingt es, die Digitalkompetenzen Älterer zu stärken und kontinuierlich weiterzuentwickeln, so werden sie auch innovative digitale Produkte und Dienstleistungen, z.B. im Gesundheits- und Pflegesystem, nachfragen und entsprechend länger sozial eingebunden leben können.“ Allerdings sei die Digitalkompetenz Älterer deutlich geringer als bei Jüngeren. Das Potenzial sei groß, argumentiert EFI. Spracherkennung und Smart-Home-Technologien, Telemedizin oder digitale Medien werden als Beispiele herangeführt. „Um diese innovativen Angebote zu nutzen, bedarf es aber eines flächendeckenden Zugangs zu digitalen Infrastrukturen wie Breitband und 5G-Netzen sowie ausreichender digitaler Kompetenzen der Nutzenden.“ Rund die Hälfte der 65- bis 75-Jährigen würden der Aussage zustimmen, dass sie von der Digitalisierung profitieren. Ab 76 Jahren seien das nur noch 24 %. Um die digitale Teilhabe älterer Menschen an einer digitalisierten Wirtschaft und Gesellschaft zu verbessern, seien neben dem Breitbandausbau auch systematische Förderangebote erforderlich, so die Kommission. Auch beim Thema der öffentlichen Verwaltungs-Digitalisierung seien umfassende Unterstützungsangebote empfehlenswert, bei der der Erwerb von Digitalkompetenzen im Vordergrund stehen solle. Andernfalls käme es zu einer weiter zunehmenden Ausgrenzung älterer Menschen.
Worum geht es bei der Diskussion um eine AGG-Reform?
15. Februar 2023Weiterlesen Das AGG ist 2006 in Kraft getreten und löste damit seinerzeit das Beschäftigtenschutzgesetz ab. In § 1 AGG wird das Ziel des Gesetzes formuliert. Verhindert oder beseitigt werden sollen demnach „Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität“. „Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) werden wir evaluieren, Schutzlücken schließen, den Rechtsschutz verbessern und den Anwendungsbereich ausweiten“, haben sich SPD, Grüne und FDP im Koalitionsvertrag auf die Fahnen geschrieben. Bislang liegen dazu jedoch noch keine Eckpunkte vor. Erwähnt werden sollte auch, dass das Gesetz schon 2016 – zum zehnjährigen Jubiläum – einer ausführlichen Evaluation unterzogen wurde. Auf über 200 Seiten werden darin Empfehlungen gemacht, die auch heute noch aktuell sind und von zivilgesellschaftlichen Akteuren weiterhin gefordert werden. So hat sich das aus 100 Organisationen bestehende Bündnis „AGG-Reform-Jetzt!“ gebildet, das kürzlich die gemeinsame Stellungnahme „Mehr Fortschritt wagen heißt auch mehr Antidiskriminierung wagen!“ vorgelegt hat. Damit wird auf den Koalitionsvertrag der Ampelkoalition angespielt, den SPD, Grüne und FDP „Mehr Fortschritt wagen“ genannt hatten. Ein zentraler Kritikpunkt ist die schwierige Rechtsdurchsetzung. Wer beispielsweise wegen seines Alters mehr für eine Reiseversicherung zahlen muss oder wer allein aufgrund seines Namens eine Stelle nicht bekommt, wird auch nach heutigem AGG diskriminiert. Allerdings sind die Hürden, diesen Anspruch auf Nicht-Benachteiligung auch durchzusetzen, sehr hoch. So beträgt zum Beispiel die Frist zur Geltendmachung gerade einmal zwei Monate. Sich in dieser Frist möglicherweise zunächst rechtlich beraten zu lassen und den Rechtsanspruch durchzusetzen ist kaum möglich. Viele scheuen auch die mit einem oft langwierigen Verfahren einhergehenden finanziellen und emotionalen Belastungen. „Diskriminierung wird daher in den meisten individuell erlebten Fällen nicht sanktioniert“, stellen die Organisationen in ihrer Stellungnahme fest und fordern einen kollektiven Rechtsschutz. Das hieße, dass nicht nur Einzelpersonen, sondern auch Verbände klagen könnten. Zudem bemängeln die 100 unterzeichnenden Akteur*innen, dass das Gesetz nur für Beschäftigung, Güter und Dienstleistungen gelte, nicht aber für den Staat gegenüber seiner Bürger*innen. „Diskriminierungen im Bereich der Ämter und Behörden werden von Betroffenen als besonders gravierend empfunden, da sie im Namen des Staates erfolgen und in einem Kontext stattfinden, der von einem hohen Machtgefälle und Abhängigkeitsverhältnis geprägt ist“, argumentiert das Bündnis. Deshalb sei es nicht nachvollziehbar, warum ein schwächerer Diskriminierungsschutz besteht, wenn es sich um staatliche Diskriminierung handele. Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass einige Diskriminierungskategorien fehlen. Das Bündnis plädiert zum Beispiel dafür, den sozialen Status ins AGG aufzunehmen. Das würde Stigmatisierungen aufgrund von Geringverdienenden, Wohnungslosen oder Alleinerziehenden ausdrücklich als Diskriminierungskategorie aufnehmen und davor schützen. Auch „Chronische Krankheit“ solle nach Auffassung der Organisationen als Diskriminierungsgrund im AGG aufgeführt werden. Zudem wird angeraten, die Kategorie „Alter“ in „Lebensalter“ umzuformulieren, da sonst der Eindruck entstehen könne, es gehe allein um ältere Menschen. Doch auch junge Menschen können aufgrund ihres Lebensalters Diskriminierung erfahren. Diesen Aspekt hatte auch die Evaluation von 2016 bereits empfohlen. Ob und wann die Bundesregierung eine Novellierung des Gesetzes in Angriff nimmt, bleibt abzuwarten. Die Organisationen, die die Stellungnahme unterzeichnet haben, kündigen jedenfalls an, die Reform kritisch zu begleiten und zu unterstützen. Mit ihren Empfehlungen stellen sie ihre Erfahrung und Expertise zur Verfügung, formulieren aber auch eine klare Erwartung: „Betroffene von Diskriminierung erwarten, dass Diskriminierung anerkannt wird, dass sie Rechte haben, um gegen Diskriminierung vorzugehen und dass diese Rechte auch durchsetzbar sind und nicht nur auf dem Papier stehen.“ Evaluation
Was sind zentrale Kritikpunkte am heutigen AGG?
Wie geht es weiter?
Gewaltschutzkonzepte in Einrichtungen
8. Februar 2023Weiterlesen „Jeder Mensch mit Behinderungen hat gleichberechtigt mit anderen das Recht auf Achtung seiner körperlichen und seelischen Unversehrtheit“, halten die Vereinten Nationen in ihrer Behindertenrechtskonvention in Artikel 17 fest. Was eigentlich selbstverständlich klingt, wird in der Realität immer wieder unterlaufen. Überdurchschnittlich oft sind Menschen mit Behinderungen Gewalt ausgesetzt, insbesondere Frauen sind von gewalttätigen Übergriffen betroffen. Davor schützen selbst Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen nicht, auch dort kommt es immer wieder zu Gewalt. Um ihren Schutzauftrag zu erfüllen, sind Einrichtungen inzwischen verpflichtet, Gewaltschutzkonzepte vorzuhalten. Bei der Umsetzung hilft nun die Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderungen Michaela Pries und das Petze-Institut für Gewaltprävention. Gemeinsam haben sie Informationen erarbeitet, die bei einer Konzepterarbeitung helfen sollen. „Ein nachhaltiges Schutzkonzept sollte immer von Menschen aus allen Bereichen der Einrichtung gemeinsam erarbeitet und umgesetzt werden“, wird die Petze-Geschäftsführerin Heike Holz in einer Pressemitteilung zitiert. „Eine Hochglanz-Broschüre, die im Regal verstaubt, ist keine aktiv gelebte Prävention und hilft niemanden.“ Die Landesbeauftragte Pries ergänzt: „Neben der Qualität des Gewaltschutzes kommt es mir bei der wirksamen Umsetzung vor allem auf die Einbeziehung der Menschen mit Behinderungen an. Sie kennen in ihren Einrichtungen die Situationen, die ihnen Angst machen oder in denen sie sogar hilflos sind“. Im Mittelteil der Broschüre findet sich eine Checkliste, die den Einrichtungen als Orientierung dienen kann. Darin gelistete Kriterien für wirksamen Gewaltschutz sind beispielsweise: Rechtliche Grundlage für die Erarbeitung von Gewaltschutzkonzepten ist § 37a SGB IX. Die entsprechenden Änderungen gelten in Deutschland seit Juni 2021.